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Digitale Bildbearbeitung? Kann ich doch, sagen viele. Ich nehme Gimp, Photoshop oder ein anderes Bildbearbeitungsprogramm, damit kann ich doch alles leicht erledigen.
Aber was steckt dahinter? Wie „funktioniert“ eigentlich ein Bildbearbeitungsprogramm (in einzelnen Komponenten)?
Teil 1 dieses Artikels erklärte erste Grundlagen der digitalen Bildbearbeitung. Teil 2 befasst sich nun mit Seam Carving und ganz anderen Aspekten des Themas.

Seam Carving – ein neues Verfahren zur Größenänderung von Bildern

Größenänderung von Bildern ist seit langem ein Thema in der digitalen Bildbearbeitung. Gängig ist Zurechtschneiden des Bildes auf die gewünschte Größe mit der Problematik, dass der Ausschnitt hierbei geeignet gewählt sein muss. Ist dieser zu klein, so fehlen evtl. Informationen und verfälschen die Aussage des Bildes: „Cropping“. Ebenso verbreitet ist das Skalieren des Bildes auf Zielgröße durch Strecken und Stauchen, was zu einer Interpolation der Pixel führt: „Scaling“. Deutlich sichtbare Auswirkungen können starke Verzerrungen sein, was sich mit einem Bildbearbeitungsprogramm unmittelbar nachvollziehen lässt.
Im Jahr 2007 stellten Avidan & Shamir in dem Aufsatz “Seam carving for content-aware image resizing” das neue Verfahren „Seam Carving“ vor (Begriffserklärung: seam bedeutet Naht, Spalte, Fuge, to carve heißt einritzen, schnitzen, schneiden). Hierbei werden „Bildinformationen“ zur Größenänderung benutzt. Es können unwichtige Teile des Bildes entfernt bzw. dupliziert werden – ohne eine deutliche Qualitätsänderung bei angemessener Anwendung sichtbar werden zu lassen. Einen netten Eindruck von der Wirkungsweise erhält man mittels des Videos unter http://seamcarving.com/ und auch durch Experimentieren mit einem frei verfügbaren Programm zur Demonstration der Funktionsweise von Seam Carving.

Nun erhebt sich sofort die Frage, was denn eigentlich „unwichtige Teile“ des Bildes sind. Die Antwort in der Philosophie von Seam Carving auf diese Frage ist so beschaffen, dass sie die nächste Frage aufwirft: „Niederenergetische“ Teile des Bildes sind unwichtig. Worin also verbirgt sich die Energie eines Bildes? Bei gleichförmigen Bildelementen „kommt es auf ein bisschen mehr oder weniger nicht an“, treten allerdings Kanten im Bild auf, so sind dies Stellen, die wichtig sein können, Kanten enthalten wichtige Bildinformationen. Sucht man nun unwichtige Stellen, so sind das z. B. Pfade durch das Bild, die wenige Kanten enthalten. Entfernt man solch einen vom oberen zum unteren Bildrand verlaufenden, zusammenhängenden Pfad der Breite ein Pixel, so ist das daraus entstehende Bild um einen Pixel schmaler als das Original. Genau dieses Verfahren wird also horizontal bzw. vertikal mehrfach angewendet, um die Größe von Bildern zu verringern. Nunmehr lässt die Idee von Seam Carving in wenigen Schritten verdeutlichen:

  1. Erzeuge eine Kopie des Bildes in Graustufen
  2. Berechne die Stärke der Kanten (Energie) bei diesem Graustufenbild
  3. Finde einen Pfad mit minimaler Energie („Seam“) im Graustufenbild
  4. Entferne bzw. dupliziere den Seam im Originalbild
  5. (Bei Bedarf: Glätte das Bild um den Seam durch Interpolation)

Anm. d. Red.: Die genaue Funktionsweise von Seam Carving wurde bereits ausführlich in Peter Poloczeks Artikel "Seamcarving" dargelegt.

In den folgenden beiden Bildern ist dargestellt, wie es sich optisch auswirkt, dass mit Hilfe des oben beschriebenen Demoprogramms eine Figur im Hintergrund des Bildes entfernt wurde.

         

Insgesamt ist Seam Carving ein Verfahren, mit dem zu beschäftigen sich lohnt. Es ist begrifflich nicht schwer zu erfassen, auch sind Variationen möglich. Beispielsweise lässt sich die Energiefunktion verändern, prinzipiell hat das aber keine Auswirkungen auf die Wirkung des Verfahrens.

Es gibt bereits ein frei verfügbares Plug-In für Gimp, das auf dem Seam-Carving-Algorithmus basiert, es nennt sich „liquid rescale“.

Weiteres

Bildbearbeitung – Bildmanipulation – Bildfälschung: die Grenzen sind fließend. Angewandt werden lediglich Algorithmen aus dem Bereich der graphischen Datenverarbeitung, die an sich „wertfrei“ sind, also nicht mit Ziel, „Schaden zufügen zu können“ entwickelt wurden. Nicht nur die Intention des Handelnden entscheidet über die Einordnung einer Veränderung an einem Bild in einen der Bereiche, wichtig ist genauso die damit erzielte Wirkung. Entfernt man einen durch einen Pixelfehler entstandenen Fleck oder hellt das Bild auf, wendet Filter wie Weichzeichner oder Schärfen an, so ist das auf den ersten Blick harmlos. Kopiert sich der Fotograf ins Gruppenbild des letzten Betriebsausflugs dazu, so ist das ein netter Gag, den vermutlich alle anderen Teilnehmer begrüßen, aber bereits das Wählen eines Ausschnittes kann die Aussage eines Bildes verändern, weil einfach damit Informationen verloren gehen. Bildfälschungen werden aus den unterschiedlichsten Gründen vorgenommen und das nicht erst seit dem Beginn der digitalen Bildbearbeitung. Beispiele findet man in großer Zahl im Internet, bekannt sind die Bilder „Luxor“, „Stalin“ und auch „9. November“.
Leider sind solche Fälschungen schwer zu erkennen, man kann aber davon ausgehen, dass nahezu jedes veröffentlichte Bild digital nachgearbeitet wurde. Solche Veränderungen automatisiert zu erkennen, ist heute noch nicht gut möglich. Manuell können hauptsächlich „Sinnfehler“ (wie Beleuchtung, künstlicher Eindruck, unmögliche Motive, Bildschärfe, Bildgeometrie) erkannt werden. Ohne nähere Kenntnis der Zusammenhänge (Motiv, Ort, …) ist aber ein Erkennen der Veränderung kaum möglich.

Die automatische Erkennung verwendet Algorithmen, versucht also „Muster“ zu erkennen: Kanten, die bestimmte Formen begrenzen, Kontraste, Farben, Beleuchtungsfehler, also auch falsche Schatten, JPEG-Kompressionsartefakte, Bildduplikate innerhalb eines oder mehrerer Bilder, wie sie beispielsweise beim Klonen von Bildteilen entstehen. Gut gelingt hierbei das Erkennen der Artefakte und der Duplikate. Häufig wird beim Manipulieren eines Bildes interpoliert, sei es beim Einfügen eines Duplikats, um die Übergänge zwischen alt und neu zu glätten oder beim Verwenden des Seamcarving-Algorithmus, um dort ebenfalls die Übergänge weniger auffällig zu gestalten. Hier versucht man durch eine Interpolationsanalyse solchen Veränderungen auf die Spur zu kommen. Die Entwicklung ist aber noch nicht abgeschlossen, eine Arbeitsgruppe der TU Dresden hat aber schon erste Erfolge erzielt.

Nachdenken sollte man sicherlich auch über den Einfluss, den diese (gefälschten) Bilder aus Zeitschriften, Fernsehen usw. auf die Konsumenten der Medien haben. Aktuelle Nachrichten bieten sicherlich jederzeit genügend Beispiele dafür, ansonsten bietet der Heise-Artikel (s. u.) genügend Stoff zum Nachdenken.
Nicht unterlassen sollte man es aber, sich vor Augen zu führen, wie sogar das Bild eines „an sich schon“ gut aussehenden Mädchens bearbeitet wird, bevor es als „Covergirl“ auf der Titelseite einer Zeitschrift erscheint. Sollte die Seite, auf die der Link verweist, direkt nicht mehr existieren, so hilft evtl. eine Suche mit den Stichworten „Metropolitan und Girlpower“ oder aber schaut sich bei Youtube einige Videos an, die die Vorgehensweise demonstrieren. Mit den Stichworten Photoshop und „Retouche“ bzw. „Make up“ findet man eine Fülle von Beispielen. Das durch solche Bilder entstandene Schönheitsideal mit den daraus resultierenden negativen Auswirkungen gerade auf Heranwachsende kritisch zu hinterfragen, ist wichtig.

Literatur

Kommentare

Hallo Jürgen, das Seam Carving Verfahren hat mich schon bei PePos Vortrag sehr interessiert. Geradezu sträflich, dass ich noch nicht damit gearbeitet habe. Immerhin habe ich das Programm mal heruntergeladen. Wer gern klont, um störende Elemente zu entfernen, dürfte beglückt sein, das nun einfacher machen zu können. Ich denke, das Löschen wäre auch das Hauptanwendungsgebiet für mich. Leider hatte ich mit dem Link „http://seamcarving.com/“ keinen Erfolg. Ich habe mir dafür einige YouTube-Videos zum Thema angesehen. Die mathematischen Hintergründe des Verfahrens werden mich leider nicht erreichen. Aber vielleicht reicht es ja, zu markieren und Knöpfe zu drücken. Ein schönes Tool/Programm. Danke für den Artikel. PePo, auch an Dich für Deinen Artikel vom 20. Mai 2009, den ich heute noch einmal gelesen habe. Ich wünschte, wir könnten immer ein wenig länger an solchen Themen arbeiten, damit des Gelernte besser haften bleibt.